Dior Cruise 2022 Collection

Mögen die Spiele

wieder beginnen

„No risk, no fun“, hatte Pietro Beccari, der CEO von Dior gesagt, als wir uns am Morgen auf der Dachterrasse vom „King George Hotel“ in Athen mit Blick auf die Akropolis unterhielten. Natürlich ist dieser Slogan im wirtschaftlichen Sinn eher mit „kein Risiko, kein Gewinn“ zu übersetzen. Aber in diesem Fall ging es eindeutig auch um Freude, und Dior ging das Risiko ein, zum ersten Mal wieder zu einer Cruise-Kollektion-Sause zu bitten, live und mit Publikum. Darunter auch der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und seine Frau Mareva Grabowski-Mitsotakis, als so wichtig wurde das Event gesehen.

Dazu symbolträchtig in dem Land, wo die „Wiege der Menschheit“ steht. Natürlich ist es ambitioniert, im Kontext einer Modenschau von Wiedergeburt zu sprechen, doch auch die Mode als kolossaler Wirtschaftsfaktor hat auf Signale wie dieses gewartet. Und ganz spät am Abend nach der fulminanten Show war etwas zu besichtigen, was fast noch anrührender war als das Defilee im historischen Panathinaiko-Stadion: Gäste, Models, Celebritys und Mitarbeiter fingen im verwunschenen Garten der „Aftershow“-Rotunde an zu tanzen.

Etwas ungläubig erst, dann fröhlich und ausgelassen, eine Explosion an Lebensfreude wie zuvor die 2500 Feuerwerkskörper, die zum Catwalk-Finale in den Himmel schossen.

Eine – frisch getestete – glückliche, bunte Gemeinschaft, bei deren Anblick ganz nebenbei auch deutlich wurde: Das viel beschworene Wort Diversity muss man den Dior-Leuten nicht deklinieren. 

Mit Klischees kommt man bei Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri (MGC) ohnehin nicht weit. So wäre es vielleicht erwartbar gewesen, dass die Designerin Models im Göttinnen-Look über das 500 Meter lange Rund in dem historischen Stadion schickt, das 1896 für die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit gebaut worden war. Doch den „Göttlichen“ hatte sie optisch schon im Juni 2019 die Haute-Couture-Kollektion gewidmet, die in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Künstlerin Judy Chicago entstanden war. Die Show in Athen war vielmehr eine modische Ode an Sport, Kultur, Bewegungsfreiheit im direkten und übertragenen Sinn. Denn immer schwingt in der Arbeit der Italienerin Emanzipation im Subtext mit. So wie sie die Cruise-Veranstaltungen nicht einfach als ein weiteres Showspektakel einer Gigamarke sieht, sondern auch als ein „Community Project“. Soll heißen: Da überfällt nicht ein Tross von Modeleuten ein touristisch reizvolles Ziel wie Kreuzfahrttouristen Venedig, vielmehr geht es um kulturellen Austausch, eine „Unterhaltung“, wie MGC es nennt, mit Geschichte und Tradition, aber auch um ganz konkrete Kooperationen mit lokalen Künstlern und Kunsthandwerkern. Gern auch mit Frauenkooperativen, wie es 2019 in Marokko der Fall war.

Für diese Kollektion nun bat sie unter anderen die griechische Künstlerin Christiana Soulou um eine gestalterische Reflexion zu den Begriffen Transformation und Adaption, auch so ein Lieblingsthema von MCG, wie der Körper von Frauen sich verändert, anpasst oder eben auch nicht. Zur Inspiration hatte sie ein ganzes Dossier über verschiedene Haltungen geschickt, Christiana Soulou malte schließlich sieben Frauen aus der Mythologie, allerdings so, dass nur Fragmenten sichtbar bleiben, die dann in „Coupé-Technik“ gewoben und in Falten der Kleidungsstücke gearbeitet wurden. Fragmente, wie überall in Griechenland, Grüße aus der Vergangenheit, die durchaus Raum zur Interpretation lassen.

Auch das nicht von ungefähr. Als Maria Grazia Chiuri zur Vorbereitung die antiken Orte im Land abreiste, hörte sie immer wieder, die griechische Mythologie sei eher aus patriarchalischer Sicht erzählt als aus matriarchaler. Stand fasziniert vor der „Schlangengöttin“ aus Knossos, deren Fayence geschätzt zwischen 1700 vor Christus entstanden und beeindruckend komplett erhalten ist. In ihrem Fall steht das Schlangenmotiv für Häutung und nicht für das ewig Böse, die Versuchung. Der Lendenschurz, den die kleine Figur im Archäologischen Museum in Heraklion trägt, findet sich nun als Brustpanzer in der Cruise-Kollektion.

Mythologie und Mystik sind nah beieinander und mystisch war auch der Abend.

Das attische Licht legte sich langsam zur Ruhe, die Gäste erklommen die hohen Stufen des Stadions, auf denen sich die wenigen Hundert Leute geradezu verloren. Fackelträger entzündeten mächtige Feuerbecken, die einzige „Dekoration“ neben den 88 hohen Flaggen des Künstlers Pietro Ruffo. Das Athener Symphonieorchester spielte auf, dazu die Stimme der griechischen Sängerin Ioanna Gika, aus den Katakomben kamen 92 Models, schritten dynamisch und irgendwie gelassen die lange Strecke im sommerlichen Dunkel ab. Und man kam nicht umhin zu denken, dass Maria Grazia Chiuri wahrscheinlich die Hohepriesterin der Frauenmode ist.

Text
Inga Griese