GO WEST

MAL GANZ OHNE STRESS

1000 Meilen in warmem Licht über steile Berge: Die „Colorado Grand“ ist eine der spektakulärsten Oldtimer-Rallyes der Welt. 

Tiefe Schluchten ziehen vorbei. Die Abendsonne taucht die roten Felsen in ein warmes Licht, spiegelt sich im Colorado River und im glänzend grauen Lack des Mercedes SL280, Jahrgang 1969. Wer hier unterwegs ist, der kann nicht anders. Er denkt: Was für eine Kulisse! Und was für eine Veranstaltung. Vier Tage fahren wir bei der wohl spektakulärsten Oldtimer-Rallye der USA mit. Rund 1000 Meilen führt die Colorado Grand quer durch die Rocky Mountains in Colorado und Utah – und das ganz ohne Stress.

Die Idee dazu hatte der Holzhändler Bob Sutherland aus Denver. Der Oldtimer-Sammler besuchte Anfang der Achtzigerjahre die berühmte „Mille Miglia“ in Italien und war so begeistert, dass er eine ähnliche Veranstaltung für zu Hause wollte. „Er hatte einige Oldtimer und lud seine Freunde ein, mit ihm ein paar Tage durch die Rockys zu fahren“, erzählt Tim Horan, heute Chairman der „Colorado Grand“.

Die Kumpels waren begeistert, und im folgenden Jahr meldeten sich mehr Freunde an. Da Bob Sutherland aber nicht mehr Oldtimer zur Verfügung standen, machte er bald eine Charity-Veranstaltung daraus – die „Colorado Grand“. Seit 1989 nehmen etwa 80 bis 100 Oldtimer jährlich an dieser nicht wettbewerbsorientierten Veranstaltung teil. Ein Teil des hochvierstelligen Startgeldes und die Einnahmen aus den Auktionen des letzten Abends gehen zugunsten der Colorado State Patrol Family Foundation und weiteren Organisationen – in den vergangenen 20 Jahren immerhin rund acht Millionen Dollar. Tom Horan fährt seit 30 Jahren mit und hat noch lange nicht genug. „Als ich vor 35 Jahren nach Denver kam, habe ich von der Rallye gehört und bin als Zuschauer hin. Danach wollte ich unbedingt dabei sein, musste mir aber erst ein passendes Auto kaufen“, erzählt er und lacht. Der Porsche-Fan suchte sich einen Klassiker, der vor 1960 gebaut wurde, um teilnehmen zu dürfen. 1992 startet er zum ersten Mal bei der Rallye, dieses Jahr mit einem Allard J2X von 1952.

„Die ,Grand‘ ist in dieser Form einzigartig. Es geht nicht um Bestzeiten und Wertungsprüfung, sondern darum, mit Freunden ein paar schön Tage zu erleben und Fahrspaß zu haben. Und das alles in einer sensationellen Umgebung.“

 

Vier Tage lang führt die Tour quer durch die Rocky Mountains, zuerst von Vail über Glenwood Springs nach Hotchkiss. Am Start stehen dieses Jahr meist europäische Sportwagen, die jedem etwas sagen, der sich auch nur etwas für die Szene interessiert: Aston Martin, Alfa Romeo, Bentley, Ferrari, Jaguar, Maserati, Mercedes-Benz und Porsche. Mercedes-Benz Classic USA begleitet die Tour mit einem professionellen Mechanikerteam seit 26 Jahren; alle Teilnehmer wissen also, dass sie bei Pannen schnell Hilfe erhalten. „Unser“ Mercedes SL 280 „Pagode“ schaukelt sich mit seinen 170 PS lässig durch die ersten Kurven. Es ist kein Roadster zum Rasen, sondern zum Genießen. Das richtige Gefährt für diese Tour, die über den Gunnison River, durch Orchard City und das Grand Mesa führt, eines der größten Hochplateaus der Welt. Feinste Kurven schlängeln sich den Berg hinauf, riesige Bäume zieren die Strecke, und vom Gipfel aus haben wir einen Blick übers Land, dessen unglaubliche Weite sprachlos machen kann. Bis Grand Junction wiederholt sich das Spektakel hinter fast jeder Biegung.

Auch der nächste Tag lädt zum Cruisen ein. Das Verdeck bleibt geöffnet und der SL280 rollte nach Moab über den Scenic Highway 128. Die 71 Kilometer lange State Route im US-Bundesstaat Utah folgt sehr lange dem Colorado River, entlang hohen Felswänden aus rotem Sandstein. Hier spielte John Wayne im Western „Rio Grande“, in der Nähe von Moab entstanden Filme wie „Thelma und Louise“ und „Mission: Impossible II“.

Eine unwirkliche Kulisse – und eine bedrohte. Denn der Colorado River trocknet langsam aus, im Westen der USA herrscht seit mehr als zwei Jahrzehnten Dürre. Bisher versorgt der Fluss rund 40 Millionen Amerikaner mit Wasser und Strom, vor allem für die Städte Las Vegas und Los Angeles. Während der Fluss im Bundesstadt Colorado noch ausreichend Wasser für Kanuten und Angler bietet, reicht der Stand in Utah kaum mehr bis zur Mündung. Dass er als reißender Strom einst die Schluchten des Grand Canyon formte, ist heute kaum vorstellbar.

Im Lake Powell, dem zweitgrößten Stausee der USA, schrumpft der Stand seit Jahren –und er fasst derzeit weniger als ein Viertel seiner Kapazität. US-Behörden wollen nun mehr als 616 Milliarden Liter Wasser aus dem Flaming-Gorge-Reservoir in den Lake Powell ablassen – eine Lösung, die allerdings nur für die nächsten zwölf Monate reicht. Mit dem Gedanken an den Klimawandel geht es weiter vorbei an tiefen Schluchten, hohen Bergkuppen und kleinen Landstraßen. Verlassene Geister- und Westernstädte säumen die Strecke. Mit einem klassischen Automobil an einer Rallye teilzunehmen ist womöglich nicht der ökologisch beste Zeitvertreib – doch die Autos werden nur wenige Hundert Kilometer im Jahr bewegt und der Spritverbrauch hält sich in Grenzen.

Amerika, wie nur Amerika sein kann: Die „Colorado Rallye“ bietet Szenen, wie man sie sonst nur aus dem Kino kennt. Im Mercedes 280SL ist man besonders entspannt auf den wunderbar glatten Highways unterwegs. Denn hier geht es nicht um Rekorde, hier geht es darum, gemeinsam vier Tage lang eine gute Zeit miteinander zu verbringen – ganz ohne den Stress des Wettbewerbs

Wir müssen am Ende des Tages dennoch tanken und halten kurz am Hartman Mercantile General Store aus den 1920er-Jahren an. Doch die Zapfsäule ist längst trocken und das Eis in der Kühlbox getaut, also muss es eine moderne Tankstelle in Telluride sein. Das 1878 gegründete Dorf liegt auf 2667 Metern und zieht vor allem im Winter viele Touristen an. Aber auch im Sommer hat die Gegend ihren Reiz, vor allem die Strecke von Montrose nach Cortez in den Mesa-Verde-Nationalpark.

Mit seinen Felsbehausungen vorkolumbischer Anasazi-Stämme zählt der Park zu einem der historischen Plätze der USA, dessen Faszination auf jeden wirkt – die meisten Rallye-Teilnehmer sind nicht zum ersten Mal hier. Mike „Piney“ Harris arbeitet als Police State Trooper der Colorado State Patrol: Er begleitet die „Grand Rallye“ zum 18. Mal, hat ein Auge auf die anderen Teilnehmer, aber freut sich selbst auf flottes Fahren mit seinem BMW-Polizeimotorrad auf den Straßen. Scott Rosen fährt mit seiner Frau Judy in einem Maserati 250S von 1957 mit, vor allem wegen der Gegend und alten Freunden. Sein Kumpel Nick Kirkou startet dieses Jahr mit seiner Frau Kati, nachdem er in den vergangenen drei Jahren bei Scott saß. Für die diesjährige Tour kaufte er sich extra einen 57er Porsche 356 Speedster.

Abgehoben? Vielleicht. Aber bei der „Grand“ normal.

Die meisten Teilnehmer besitzen eine kleinere Fahrzeugsammlung. Sie reden darüber, nicht um zu prahlen, sondern um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und über die Strecke zu philosophieren – der Spaß, der dabei aufkommt, ist ohnehin nicht mit Geld zu bezahlen. Die Strecke bleibt auch am vierten Tag traumhaft. Es geht durch den Black-Canyon-of-the-Gunnison-Nationalpark wieder in Richtung des Starts in Vail; glatter Asphalt, Kurven und ein weiter Blick über das ganze Tal. Dann taucht die Abendsonne die Felsen in ein warmes Licht und alle weiteren Worte erübrigen sich.

Text & Fotos
Fabian Hoberg