Mit dem Parfüm „Synthetic Jungle“ führt Frédéric Malle in den Dschungel der erweiterten Realität. Silke Bender schnupperte grüne Science-Fiction.
Entwurf Natur

Ein fensterloses Souterrain, durch das Stimmen wie aus der Kommandozentrale eines Raumschiffs hallen: In der Mitte sechs illuminierte Duftröhren, in denen man die Hauptnoten des Parfüms einzeln erschnuppern kann. Über unsichtbare Bewegungsmelder steuert jeder Besucher die wandgroßen Projektionen, die ihn in einen imaginären Dschungel auf dem Mond schicken. Mit einer immersiven Installation des französisch-algerischen Künstlers Neïl Beloufa präsentiert Frédéric Malle seinen neuen Duft „Synthetic Jungle“. So feiert er gleichzeitig den 20. Geburtstag seines Unternehmens nach, der Covidbedingt ins Wasser fiel.
Im Jahr 2000 gründete er Editions de Parfums und setzte der Blockbuster-Industrie ein mit Herzblut betreutes Autorenkino entgegen. Wie ein Verleger holt er seitdem die besten Parfümeure der Welt und lässt ihnen alle künstlerische Freiheit, Düfte zu entwickeln. Ohne Zeitdruck, ohne an Zielgruppen oder Kosten zu denken. Malle selbst wurde mit allen Wassern der Pariser Gesellschaft gewaschen: Sein Onkel war Filmregisseur Louis Malle, sein Großvater gründete Christian Dior Parfums, wo später seine Mutter als Kreativdirektorin arbeitete. Er empfängt in grauen Nadelstreifen und zur Feier des Tages mit froschgrünen Socken. Eines Ihrer meistverkauften Parfüms ist bisher „Portrait of a Lady“, das Sie als olfaktorische Abendrobe beschrieben.


Was ist „Synthetic Jungle“?
Ein Kleid oder ein Anzug aus grünen Blättern. Aber meine Idee war eigentlich viel abstrakter: Ich wollte die Farbe Grün in Duft übersetzen. Und so wurde die Parfümeurin Anne Flipo mein Dschungel-Guide. Sie beherrscht die grünen Noten am besten. Gemeinsam kamen wir schnell auf den Duft „Private Collection“ von Estée Lauder, den wir sehr mögen und als sehr grün empfinden. Den haben wir quasi in die Gegenwart, in eine Art Augmented Reality gedrückt: indem wir ihn komplett dekonstruierten und mit natürlichen und synthetischen Duftmolekülen völlig anders zusammensetzten. Er ist Natur und Design gleichzeitig.
Wieso kann man die Original-Inspiration nirgendwo in der Ausstellung riechen?
Weil es unfair wäre. „Private Collection“ würde neben „Synthetic Jungle“ wie eine alte Dame riechen. Beide sind gut, aber eben nicht vergleichbar. Wie ein Jacques Brel neben einem Techno-Stück.
Warum altern Parfüms?
Ich erinnere mich noch sehr gut, wie Anfang der 1980er in New York auf der Straße eine wunderschöne, schwarze Frau an mir vorüberging. Sie trug Giorgio Beverly Hills, ein Parfüm, das mich umhaute. Heute riecht das für mich wie ein alter Schwamm. Meine Theorie: Was Düfte alt macht, ist, wenn sie sich zu sehr dem Zeitgeist an den Hals werfen. Wenn Marketingexperten immer und immer wieder die gleichen Akkorde aufkochen lassen, weil sie sich in dem Moment gut verkaufen.
Große Parfüms hingegen haben kein Alter, sie sind einfach sie selbst.
„Private Collection“ ist einer der emblematischen Düfte der 70er-Jahre. Was assoziieren Sie mit dieser Epoche noch?
Meine Nächte in den Nachtklubs von Paris. Unsere ganze Familie ging viel aus, und so ließ mich Huguette, die Türsteherin vom „Castel“, schon mit 15 Jahren eintreten, obwohl sie wusste, dass unsere Truppe noch minderjährig war. Ich war immer stolz wie Oskar. Nur ins „Palace“, da musste ich heimlich hin. All die schwulen Freunde meiner Mutter waren Stammgäste. Sie wusste also, was dort abging, und hatte Angst, dass ihr fragiler Sohn irgendwann mit einer Spritze im Arm endet. Ich bin nicht nostalgisch wie andere, die noch heute Anekdoten vom „Palace“ erzählen. Mir ist es eher peinlich, wie hässlich, picklig und aufgeblasen wir waren. Aber tatsächlich war es eine wichtige Zeit in meinem Leben: Dort wuchs eine neue Generation zusammen, die bald das Ruder übernahm und noch heute eine wichtige Rolle in der Pariser Kreativszene spielt: von Mode über Kunst, Musik, Kino und Literatur.
Parfüms gehören zu den beliebtesten Geschenken. Kann man etwas so Persönliches eigentlich für jemand anderen aussuchen?
Es ist auf jeden Fall ein Wagnis. Genauso, wie wenn man einer Frau ein Kleid schenkt. Ist es zwei Nummern zu klein, kann das als gefährliche Botschaft ankommen. Und wenn es zwei Nummern zu groß ist übrigens auch. Man muss die Person gut kennen, an ihren Geschmack und nicht an den eigenen denken. Ich persönlich gehe das Risiko immer gern ein.